Mâyâ – Von der (Un)Wirklichkeit der Materie

Helena Petrowna Blavatsky

„Mâyâ oder Illusion ist ein Element, das in allen endlichen Dingen eintritt, denn alles, was existiert, hat nur eine relative, keine absolute Realität, da die Erscheinung, die das verborgene Ding an sich für irgend einen Beobachter annimmt, von dessen Erkenntniskraft abhängt. Für das ungeübte Auge eines Wilden ist ein Gemälde vorerst ein sinnloser Wirrwarr von Farbenstrichen und Klecksen, während das gebildete Auge sofort ein Gesicht oder eine Landschaft sieht. Nichts ist dauernd außer der einen verborgenen absoluten Existenz, die in sich die Dinge an sich von allen Realitäten enthält. Die Existenzen eines jeden Daseinsplanes, bis hinauf zu den höchsten Dhyan-Chohans, sind gewissermaßen Schatten, wie sie eine magische Laterne auf einen farblosen Schirm wirft; nichtsdestoweniger sind alle Dinge relativ real, denn der Erkennende ist selbst eine Reflexion und die erkannten Dinge sind daher für ihn ebenso wirklich als er selbst.

Was immer für eine Wirklichkeit die Dinge besitzen, muss an ihnen untersucht werden, bevor oder nachdem sie blitzartig durch die materielle Welt gegangen sind. Eine solche Existenz können wir aber nicht direkt erkennen, so lange wir nur Sinnesinstrumente haben, welche bloß materielle Existenz in das Gesichtsfeld unseres Bewusstseins bringen. Auf welchem Plane auch unser Bewusstsein tätig sein möge, so sind wir und die Dinge, die diesem Plane angehören, für die betreffende Zeit unsere einzigen Wirklichkeiten. In gleichem Maße, als wir die Stufenleiter der Entwicklung emporsteigen, erfahren wir aber, dass wir während der Zustände, durch die wir hindurchgegangen sind, Schatten fälschlich für Wirklichkeiten gehalten haben, und dass der aufwärts gerichtete Fortschritt des Ego eine Reihe fortschreitender Erwachungen ist, wobei jeder Fortschritt die Idee mit sich bringt, dass wir nunmehr endlich »Wirklichkeit« erreicht haben: aber erst, wenn wir das absolute Bewusstsein erreicht und mit unserem eigenen verschmolzen haben, werden wir frei sein von den Täuschungen der Mâyâ.“

Aus: „Die Geheimlehre“, Band 1, S. 71 f. 

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